


Exhibition: Bruch (2025), Historischer Keller, municipal gallery, Berlin (Images: CHROMA)
Work: Kin (die große Klette), 2025, porcelain clay, spray paint
DE
Die lebensgroß abgeformten Blätter von „Kin (die Große Klette)“ (2025) lenken die Aufmerksamkeit auf eine im städtischen Alltag oft übersehene Pflanze. Bei Begegnungen mit der Großen Klette (Arctium lappa) fällt der Blick meist nicht auf die bis zu 50 Zentimeter großen oval-herzförmigen Blätter, sondern vor allem auf die namensgebenden Achänen, deren Borsten und Pappushaare sich an Kleidung, Haaren oder Fell heften und so ihre Verbreitung sichern. Diese Fähigkeit wird selten bewundert, häufig eher verflucht — ein Hinweis auf die zwiespältige Haltung gegenüber unserer Umwelt. Besonders wanderfähig besiedelt die Pflanze dysfunktionale Stadträume — vom Tempelhofer Industriegebiet bis zu brachliegenden Flächen anderer Berliner Bezirke. Dort wächst sie bisweilen zwischen zurückgelassenen Gegenständen und ausrangierten Kleidungsstücken, und zeichnet so subtil das Stadtbild.
Die Verbreitungsstrategie der Großen Klette und ihr Vorkommen in urbanen Zwischenräumen finden in den fein gearbeiteten Tonskulpturen von Juliane Tübke einen Widerhall: Die Künstlerin übertrug Blattstrukturen und Texturen gefundener Blue-Jeans — potenzielle Trägermaterialien für die Kletten — in Porzellanton und platzierte sie an verschiedenen Stellen in den Ausstellungsräumen. In einigen Arbeiten verschmelzen Blätter und Jeansstoffe zu hybriden, fast organischen Formen, die das Zusammenspiel von Pflanze, Mensch und urbanem Raum spielerisch versinnbildlichen.
Der Titel „Kin“ verweist zudem auf Theorien der US-amerikanischen Naturwissenschaftshistorikerin und Feministin Donna Haraway, die Verwandtschaftsverhältnisse über Speziesgrenzen hinweg propagiert, um ein respektvolleres Miteinander zu ermöglichen. Wenn wir anerkennen, dass wir mit der Großen Klette verwandt sind, welche Auswirkungen hätte das auf unser Denken und Handeln? Julia Katharina Thiemann
EN
The life-sized cast leaves of "Kin (Greater Burdock)" draw attention to a plant often overlooked in everyday urban life. When encountering the greater burdock (Arctium lappa), the eye is usually caught not by its large, oval, heart-shaped leaves—reaching up to fifty centimeters in size—but by its namesake achenes, whose hooked bristles and pappus hairs cling to clothing, hair, or fur, ensuring the plant’s spread. This ability is seldom admired and more often cursed—an indication of our ambivalent attitude toward the natural world. Exceptionally migratory, the plant colonizes dysfunctional urban spaces—from the industrial areas of Tempelhof to the derelict lots of other Berlin districts. There, it sometimes grows among discarded objects and abandoned garments, subtly tracing the city’s contours.
The burdock’s strategy of dispersal and its presence in these urban interstices find a poetic echo in Juliane Tübke’s finely crafted clay sculptures. The artist transfers the textures and structures of both burdock leaves and found blue jeans—potential carriers of the plant’s seeds—into porcelain clay, placing them throughout the exhibition space. In some works, leaves and denim merge into hybrid, almost organic forms that playfully symbolize the interplay between plant, human, and city.
The title Kin also alludes to the theories of American science historian and feminist Donna Haraway, who advocates for kinship relations that transcend species boundaries to foster more respectful coexistence. If we were to acknowledge our kinship with the Greater Burdock, how might that change the way we think and act? Julia Katharina Thiemann



Exhibition: Bruch (2025), Historischer Keller, municipal gallery, Berlin (Images: CHROMA)
Work: Kin (die große Klette), 2025, porcelain clay, spray paint
DE
Die lebensgroß abgeformten Blätter von „Kin (die Große Klette)“ (2025) lenken die Aufmerksamkeit auf eine im städtischen Alltag oft übersehene Pflanze. Bei Begegnungen mit der Großen Klette (Arctium lappa) fällt der Blick meist nicht auf die bis zu 50 Zentimeter großen oval-herzförmigen Blätter, sondern vor allem auf die namensgebenden Achänen, deren Borsten und Pappushaare sich an Kleidung, Haaren oder Fell heften und so ihre Verbreitung sichern. Diese Fähigkeit wird selten bewundert, häufig eher verflucht — ein Hinweis auf die zwiespältige Haltung gegenüber unserer Umwelt. Besonders wanderfähig besiedelt die Pflanze dysfunktionale Stadträume — vom Tempelhofer Industriegebiet bis zu brachliegenden Flächen anderer Berliner Bezirke. Dort wächst sie bisweilen zwischen zurückgelassenen Gegenständen und ausrangierten Kleidungsstücken, und zeichnet so subtil das Stadtbild.
Die Verbreitungsstrategie der Großen Klette und ihr Vorkommen in urbanen Zwischenräumen finden in den fein gearbeiteten Tonskulpturen von Juliane Tübke einen Widerhall: Die Künstlerin übertrug Blattstrukturen und Texturen gefundener Blue-Jeans — potenzielle Trägermaterialien für die Kletten — in Porzellanton und platzierte sie an verschiedenen Stellen in den Ausstellungsräumen. In einigen Arbeiten verschmelzen Blätter und Jeansstoffe zu hybriden, fast organischen Formen, die das Zusammenspiel von Pflanze, Mensch und urbanem Raum spielerisch versinnbildlichen.
Der Titel „Kin“ verweist zudem auf Theorien der US-amerikanischen Naturwissenschaftshistorikerin und Feministin Donna Haraway, die Verwandtschaftsverhältnisse über Speziesgrenzen hinweg propagiert, um ein respektvolleres Miteinander zu ermöglichen. Wenn wir anerkennen, dass wir mit der Großen Klette verwandt sind, welche Auswirkungen hätte das auf unser Denken und Handeln? Julia Katharina Thiemann
EN
The life-sized cast leaves of "Kin (Greater Burdock)" draw attention to a plant often overlooked in everyday urban life. When encountering the greater burdock (Arctium lappa), the eye is usually caught not by its large, oval, heart-shaped leaves—reaching up to fifty centimeters in size—but by its namesake achenes, whose hooked bristles and pappus hairs cling to clothing, hair, or fur, ensuring the plant’s spread. This ability is seldom admired and more often cursed—an indication of our ambivalent attitude toward the natural world. Exceptionally migratory, the plant colonizes dysfunctional urban spaces—from the industrial areas of Tempelhof to the derelict lots of other Berlin districts. There, it sometimes grows among discarded objects and abandoned garments, subtly tracing the city’s contours.
The burdock’s strategy of dispersal and its presence in these urban interstices find a poetic echo in Juliane Tübke’s finely crafted clay sculptures. The artist transfers the textures and structures of both burdock leaves and found blue jeans—potential carriers of the plant’s seeds—into porcelain clay, placing them throughout the exhibition space. In some works, leaves and denim merge into hybrid, almost organic forms that playfully symbolize the interplay between plant, human, and city.
The title Kin also alludes to the theories of American science historian and feminist Donna Haraway, who advocates for kinship relations that transcend species boundaries to foster more respectful coexistence. If we were to acknowledge our kinship with the Greater Burdock, how might that change the way we think and act? Julia Katharina Thiemann